(English Update in Progress)

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Das Neue


Anfang des 20. Jhdt. wurde das erste Mal in der Geschichte der Kunst die Innovation per se als
Qualitätskriterium angestrebt. Boris Groys hat mit seinem Buch “Über das Neue” aufgezeigt,

dass von der Moderne bis in die Gegenwart das Neue (bezeichnet als Innovation) einem universellen

Regelwerk verhaftet ist. Jedes innovative Werk oder Handeln ist Zeugnis eines kulturellen Wertetausches.

Grob skizziert: der kulturelle Kanon wirdabgewertet und das Andere, kulturell amorphe, dass sich

komplementär dazu verhält, aufgewertet. (1) Kulturelle Institutionen sind Archive und zugleich

Orte gegenwärtiger Verschiebungen. Sie fordern diese kulturökonomische Logik ein, weil sie von Neuem

für Wachstum und stetige Produktion sorgen. Neu ist dieses Verhältnis nur solange, bis die Konfrontation

überwunden scheint, das allgemeine Rezeptionsverhalten nachhaltig beeinflusst wurde, bzw. Archive und

Museen gefüllt wurden. In diesem Moment verkündet die Logik der Innovation sein Misstrauen, indem es

wiederum das Verhältnis zu diesem neu etablierten kulturellen Wert kontrastiert. Innovative Werke oder

Positionen, die nachhaltig Rezeptionsverhalten beeinflussen, sind selten, weshalb in der Gegenwart

immer auch die Peergroup museal berücksichtigt wird, um die einzelnen wenigen originären Positionen zu

stärken. Mit zunehmender historischer Distanz geben die wenigen bekannten Namen Zeugnis, über die

spezifischen Paradigmenwechsel ab. Historisch gesehen ist „Das Neue“ als Wirklichkeit, Authentizität,

Wahrheit, Schönheit, Subversion, das Unbekannte, Humane… als das Andere in Erscheinung getreten.

Keiner dieser Begriffe steht für das Neue, sondern für dessen spezifischen, meist komplementären Einsatz,
abhängig vom jeweiligen historischen und kulturellen Kontext.
(2) Nach Groys Theorie ist folgender Aufbau notwendiger Aspekt jedes innovativen Gestus: die “negative
Anpassung” und „positive Anpassung“: Die negative Anpassung kontrastiert den gegenwärtigen kulturellen

Konsens. Die negative Anpassung wertet das kulturell Andere (Profane) auf und den kulturellen Konsens

(valorisiert) ab. Deswegen kann eine Versöhnung oder Verschmelzung von bislang Getrenntem, auch eine

negative Anpassung darstellen (z.B. Vorzüge des Eklektizismus 2000er bis 2010er Jahre, bspw.

Benedikt Hipp, Adrian Ghenie). Die Abwertung ist also nicht dezidiert subversiv wertend.

Der neue und der alte Wert vollzieht einen Wertetausch auf dergleichen Ebene. In jedem Fall löst sie das

Nichtmehr-Gegenwarts- stiftende ab. Die „positive Anpassung“ stellt die Erkennbarkeit her; die

Verbindung zu dem vorherigen Konsens. „Positive Anpassung“ bezeichnet auch die künstlerische Peergroup,

die das Neue etabliert oder festigt. Der Ist-Zustand des gegenwärtig Neuen bezeichnet Groys als kulturelle

Wertgrenze, die es gilt zu verschieben. Die institutionell gepushte Peergroup* nimmt hier kleinere

partiellere Verschiebungen vor, um das Neue zu festigen oder auszubauen. Kleinere Verschiebungen haben

demnach keinen Paradigmenwechsel zur Folge, festigen aber ihre Gegenwart.
*Die Peergroup bezeichnet nicht die handvoll „Notable Artists“ am Anfang einer Bewegung, sondern vielmehr
die internationale Menge derer, die auf den Zug aufspringen / ins Boot geholt wurden, um die Programme der
Gegenwart zu füllen…

Die Postinnovation


Die Postinnovation bezieht sich auf den gemeinsamen Nenner, der bestimmend für die Epochenbildung
der letzen 100 Jahre war; den kulturökonomisch vorsätzlichen Abschnitt der Innovation ab der Moderne
(ca. 1890) bis zur Gegenwart. Jedes innovative Handeln reproduziert demnach alle traditionellen Ereignisse

des innovativen Regelwerks, weshalb diese Kulturstrategie in der oben genannten Zeitspanne als

gleichbleibend qualitätsstiftende Werteproduktion (2) nicht mehr originell sein kann.
Die Postinnovation ist das historisch erste kulturelle Bemühen, die Bedingungen, die das „Neue“ zur Folge
haben, als kulturell valorisiertes Handlungsmuster zu begreifen und es als veränderbaren kulturellen Wert zu
erkennen. Institutionell stellt „das Handlungsmuster der Innovation“ als solches, nach wie vor, den höchsten
kulturell valorisierten Wert dar und wird im Sinne des Regelwerks von Groys, mit seinem äußersten
Profanen, der „Profanität dieses Handlungsmusters verglichen“ (Originalitätsverlust durch historische
Konvention). Das PI-Vorhaben ist auch „positiv angepasst“, denn das „Handlungsmuster der Innovation“ ist
formgebend und als Interpretation erkennbar in das postinnovative Werk eingearbeitet.
Das Modifizieren der „negativen Anpassung“ ist eine wesentliche Bedingung meiner Arbeit, da es den
Kern des Regelwerks der Innovation infrage stellt. An dieser Stelle ist das Modifizieren originell, da es
historisch noch nicht vollzogen wurde. Originalität wird dabei nicht in der Anwendung des traditionell
innovativen Handlungsmusters auf das Muster der „negativen Anpassung“ erzeugt, sondern durch eine
gezielte Modifizierung im Rahmen ihrer Begegnung. Das Modifizieren ist vielfältig, es äußert sich zum
Beispiel durch die gestaltete Illusion des Unterlaufens, durch Redundanz oder das bewusste Verfehlen
gegenwärtiger Wertgrenzen. Postinnovation kann auch als Korrektiv im Rezeptionsverhalten in Erscheinung
treten, dort wo der Eindruck von Innovation durch die Erwartungshaltung des Betrachters entsteht, diese
Arbeiten kämen ohne jegliche modifizierende Intervention aus. Jedes Werk markiert einen aktiven
spezifischen Zugang zur Postinnovation, sie unterscheidet sich deshalb von der Beiläufigkeit nicht
gelungener Innovationen aus Bereichen der Kunstgeschichte.
Das visuell diverse auftreten der Postinnovativen Werkgruppe (2009-2022) exemplifiziert zum einen, dass
die Materialität des Neuen nicht durch das Auftreten fixiert wird, sondern vielmehr durch eine Änderung in
den Verbrauchsformen. Deswegen wird bei den postinnovativen Werken die Unterscheidung zwischen
relevanter und irrelevanter Wert-Differenz fallen gelassen. Mit der kulturellen Relevanz ist die

Gegenwartserzeugung durch den Zeitgeist gemeint, die sich durch den jeweiligen Verlauf der aktuellen Wertgrenze
bzw. der politischen Entscheidungen von Seiten der Institutionen bedingt. Vor dem Hintergrund der
Kunstgeschichte waren es jedoch weniger die Veränderungen von gesellschaftlicher Relevanz, die sich in
Werke mehr oder weniger einschrieben haben, sondern viel mehr die Brüche, die Verschiebungen und
ästhetischen Entscheidungen, die sie analog dazu vollzogen haben — also dort wo sich das Paradigma der
Innovation am deutlichsten abgezeichnet hat. (insbesondere bei selbstreferenzieller Kunst, ohne
gesellschaftlichen Bezug). Deswegen zeigt PI Relevanz im großen, kunsthistorischen Kontext (unabhängig
vom Verlauf gegenwärtiger Wertgrenzen, da die PI davon ausgeht, dass das Regelwerk der kulturellen
Innovation selbst eine fast 100-jährige Wertgrenze darstellt), die es im Sinne der Kulturökonomie zu
verschieben gilt. Postinnovation mit Gegenwartsbezug wäre mit „hedging“ (Börse) vergleichbar, da es bei
Nichtanerkennung oder Nichtgelingen dieser Produktion, um simple „Innovation“ handeln würde, also das,
was Institutionen einfordern, mit historischer Anerkennung und Erfolg honoriert würde.

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Stefan Pani

Editorin Jennifer Gelardo

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